Die Autorin
Daniela Franzisi
ist Projektleiterin des neuen Citizen-Science-Projektes „Insektensommer – Zählen, was zählt“ und zuständig für Öffentlichkeitsarbeit beim NABU
In Deutschland sind etwa 33.000 Insektenarten zu Hause. In ihrer überwältigenden Vielfalt sind sie nicht nur eine unersetzliche Nahrungsgrundlage für Vögel, Fledermäuse und Co. Fast alle Wild- und Kulturpflanzen werden von Insekten bestäubt. Damit spielen sie eine zentrale Rolle für unsere Ökosysteme. Wissenschaftliche Studien belegen jedoch eindeutig: Die Biomasse von Fluginsekten ist innerhalb von nur 27 Jahren um bis zu 75 Prozent zurückgegangen. Um auf die dramatische Lage und die enorme Bedeutung der Sechsbeiner für uns und unsere Umwelt aufmerksam zu machen, hat der NABU im Sommer 2018 ein neues, bundesweites Citizen-Science-Projekt ausgerufen – den Insektensommer.
Bisherige Untersuchungen nehmen einzelne Regionen oder Naturschutzgebiete in den Blick. Bundesweite und artenübergreifende Informationen werden dagegen selten erhoben. Mit dem Insektensommer möchte der NABU dazu beitragen, diese Datenlücke in Deutschland langfristig zu schließen. Ziel der Aktion ist es, ein genaueres Bild von den Sechsbeinern in unseren Städten und in der Natur zu bekommen. Da aber nur wenige heimische Arten umfassend erforscht sind, geht es beim Insektensommer nicht darum, akribisch recherchierte Bestandszahlen zu erheben. Der Insektensommer verfolgt vor allem zwei Anliegen: Das Projekt soll durch jährlich wiederkehrende Zählungen Hinweise darauf geben, wie sich die Bestände und die geografische Verteilung von A wie Ackerhummel bis hin zu Z wie Zikade entwickeln. Gleichzeitig soll die Aktion eine Gelegenheit sein, um die Menschen für den Schutz der Summer, Brummer und Krabbler zu begeistern.
Mit Hilfe der kostenlosen App „Insektenwelt“ für iOS und Android können die häufigsten heimischen Insekten per Smartphone bestimmt, kartiert und gemeldet werden. Besonderheiten sind die fotografische Erkennungsfunktion sowie die Verknüpfung mit der NABU-Aktion „Insektensommer“ und naturgucker.de.
Eine Besonderheit ist die fotografische Erkennungsfunktion, die eine schnelle und einfache Bestimmung eines Insektes ermöglicht – vorausgesetzt es handelt sich um eine der 122 in der App enthaltenen häufigen Arten. Diese technische Neuerung ist bisher auf dem deutschen App-Markt bei Insekten einzigartig. 122 von 33.000 in Deutschland vorkommenden Arten klingt verschwindend gering, von der Beobachtungswahrscheinlichkeit sind damit aber gut 50 Prozent aller Sichtungen abgedeckt. Die Artenbestimmung geschieht durch eine speziell entwickelte Mustererkennungs-Software, die anhand von bis zu tausend Fotos je Art die Arten „gelernt“ hat. Die Insektenwelt-App richtet sich an Insektenliebhaber und alle, die an den Citizen-Science-Projekten teilnehmen wollen.
Insgesamt haben in diesem Jahr 16.300 Menschen an der NABU-Mitmachaktion Insektensommer teilgenommen. Nach ersten Ergebnissen meldeten die Teilnehmer in diesem Frühsommer deutlich seltener Falter als im Juni des Vorjahres. Laut Auszählungsstand gingen die Schmetterlingssichtungen um 40 Prozent zurück. Doch eine Art sticht dabei positiv hervor: Den farbenprächtigen Distelfalter haben die Insektensommer-Teilnehmer dreimal so oft gesehen wie 2018. „Der Distelfalter ist einer der wenigen fast über den ganzen Erdball verbreiteten Schmetterlinge. Unsere mitteleuropäischen Winter mag er allerdings nicht, denn er verträgt keinen Frost. Jedes Frühjahr wandern die Distelfalter deshalb neu aus dem Süden ein“, so NABU-Insektenexpertin Daniela Franzisi. Nach Eiablage und Schlupf der nächsten Generation ziehen diese Falter im Spätsommer dann wieder in den Süden.
Auch Schwebfliegen wurden von den Menschen weniger gemeldet. Dagegen nahmen die Beobachtungen von Käfern, Bienen und Wespen bei den Menschen gegenüber dem Vorjahr zu. Besonders auffällig ist der Zuwachs bei Marienkäfer, Erdhummeln, Haus-Feldwespe und die Holzbiene. Da die Beobachtungen unabhängig von einander in ganz Deutschland von fleißigen Zählern umgesetzt werden, entsteht mit Hilfe dieser bundesweiten Zählung ein Verteilungsbild der Insekten. Gerade zugezogene Arten wie die Holzbiene lassen sich so mit ihrem Vorkommen in ganz Deutschland anhand der Beobachtungen erstmals belegen. Die Ergebnisse lassen sich ganz transparent unter der Aktionswebsite einsehen. Die Top 100 der häufigsten Meldungen von Insekten sind per Karte und in einer Rankingliste dargestellt.
Die Menschen beginnen vor allem vor der eigenen Haustür die Welt der Sechsbeiner zu erkunden. Garten und Balkon sind die Hauptorte, aus denen die Teilnehmer die meisten Beobachtungen abgeben. „Ein spannendes Untersuchungsfeld, denn diese Bereiche sind bisher wenig untersucht und für die Wissenschaft normalerweise nicht einfach zugänglich. Gleichzeitig können somit über die Jahre hinweg Belege gesammelt werden, welche Artenvielfalt sich auch auf kleinen Flächen und vor allem auch in städtischen Gebieten und dem Umland finden lässt.“ meint Daniela Franzisi vom NABU. Im Durchschnitt melden die Teilnehmer bis zu zehn unterschiedliche Insekten und stärken durch die Beschäftigung mit den Krabbeltieren ihr eigenes Wissen bei jeder Aktion. Vor allem Lehrer, Erzieherinnen und Familien melden sich begeistert zurück, da sie jetzt anfangen gemeinsam mit Kindern, Freunden und Nachbarn in der Gruppe Insekten wahrzunehmen.
Die Autorin
Daniela Franzisi
ist Projektleiterin des neuen Citizen-Science-Projektes „Insektensommer – Zählen, was zählt“ und zuständig für Öffentlichkeitsarbeit beim NABU